- Atkinson, P., A. Coffey, S. Delamont, J. Lofland & L. Lofland (2013): Handbook of Ethnography. London: Sage.
Der Begriff Ethnographie beschreibt zum einen eine akademische Fachdisziplin, die alle Formen gesellschaftlicher Organisation aus Sicht der Organisierenden untersucht. Zum anderen beschreibt Ethnographie einen Prozess der Datenerhebung, wenn Forschende darauf zielen, Menschen / Gruppen über einen längeren Zeitraum in ihrem alltäglichen Leben zu erforschen. In letzterem Sinne setzt ethnographische Sozialforschung voraus, dass Forschende über einen längeren Zeitraum am Alltagsleben der zu untersuchenden Menschen / Gruppe / sozialen Organisationseinheit so teilnimmt, als wenn sie selbst Teil der Gruppe wäre. Die Konsequenzen sind eine Fülle von Datenmaterial, denn neben Beobachtung und Interviews weisen ethnographische Studien eine große Anzahl ein Notizen, Tagebucheinträgen, Memos, Fotos, Filmaufnahmen usw. auf. Ethnographie als Methode respektive als Multimethodenverfahren bedeutet jedoch nicht nur mittels vielseitiger Methoden Daten zu erheben; Ethnographische Sozialforschung versteht sich als Verfahren der In-Beziehung-Setzung der Forschenden mit dem Feld. Das heißt, dass neben der Fülle an Datenmaterial die Folge ethnographischen Forschens auch das Sammeln von Erfahrung und Erlebnissen ist. Die In-Beziehung-Setzung der Forschenden mit dem Feld zeigt sich in verschiedenen ethnographischen Produkten wie ethnographische Fotografie, ethnographischer Film, ethnographisches Interview, ethnographische Beobachtung, Autoethnographie, reflexive Fotografie, Videographie, Netnographie.
Grundlegend kann die Vielzahl der ethnographischen Arbeiten danach unterschieden werden (1) wo Forschende den Ursprung des Sinns verorten: Strukturen (poststrukturalistische E), Beziehungen (interaktionistische E), autonomes Subjekt (handlungstheoretische E); (2) nach Forschungsgegenstand (Institutionen, Soziale Bewegungen, Subjekte); (3) nach der methodische Schwerpunktsetzung (teilnehmende Beobachtung, beobachtende Teilnahme, going along; (4) nach der Form der Ergebnispräsentation (politisch, werturteilsfrei, affirmativ).
Je nach Forschungsgegenstand (2) und methodischem Schwerpunkt (3) existieren spezifische Bezeichnungen wie z.B.
- Institutional Ethnography (Campell 2004)
- Political activist ethnography (Framton et al. 2006)
- Reflexive embodied ethnography (Fiel-Springer 2019, Mukherjee 2019)
- Visual Ethnography (Schurr 2012)
Im Rahmen der institutionellen Ethnographie legen Forschende einen Fokus auf die sozialen Beziehungen im Alltag von Menschen, die in Kontexten sozialer Institutionen ablaufen (z. B. Schule, Ehe, Arbeit). Political activist ethnography zielt neben dem Verstehen alltäglicher Praktiken auf die Veränderung sozialer Verhältnisse zum Beispiel durch Handlungsempfehlungen für politische Strategien. Reflexive embodied ethnography reflektiert die Tatsache, dass Forschende als Menschen, das heißt mit Emotionalität, Sprache, Ängsten und nicht zuletzt mit ihrer Körperlichkeit das Feld betreten. Die Bedeutung des Körpers beim Doing Culture (siehe Cultural Performance Analysis) zu reflektieren, nimmt hierbei einen großen Stellenwert ein.
- Campbell, M. L. (2004) Mapping social relations: an introduction to institutional ethnography. Lanham: Altamira Press.
- Frampton, C., G. Kinsman, AK Thompson & K. Tilleczek (2006): Sociology for changing the world. Social movements/social research. Nova Scotia: Fernwoodpublishing.
- Winchatz, M. R. (2006): Fieldworker or Foreigner?: Ethnographic Interviewing in Nonnative Languages. In: Field Methods 18, 1, 83-97.
- Field-Springer, K. (2019): Reflexive embodied ethnography with applied sensibilities: methodological reflections on involved qualitative research. In: Qualitative Research 20, 2, 194–212.
- Smith, G. W. (1990): Political activist as ethnographer. In: Social Problems 37, 4, 629–648.
- Mukherjee, S. (2019): Gendered embodiment of the ethnographer during fieldwork in a conflict region of India. In: Social Epistemology 34, 1, 43–54.
- Müller, M. (2012): Mittendrin statt nur dabei : Ethnographie als Methodologie in der Humangeographie. In: Geographica Helvetica 67, 4, 179–184.
- Schurr, C. (2012): Visual ethnography for performative geographies: how women politicians perform identities on Ecuadorian political stages. In: Geographica Helvetica 67, 195–202.
- Verne, J. (2013): Ethnographie und ihre Folgen für die Kulturgeographie: eine Kritik des Netzwerkkonzepts in Studien zu translokaler Mobilität. In: Geographica Helvetica 67, 4, 185-194.
- Streule, Monika (2018): Ethnografie urbaner Territorien. Metropolitane Urbanisierungsprozesse von Mexiko-Stadt. (Raumproduktionen: Theorie und gesellschaftliche Praxis, Band 32). Münster: Westfälisches Dampfboot.
- Valentine, K. B. & G. Matsumoto (2001): Cultural performance analysis spheres: An integrated ethnographic methodology. In: Field Methods 13, 1, 68-87.